Grabstein des Monats Dezember 2015
Unser Grabstein des Monats weist eine gewisse Mehrdeutigkeit auf: Vermutlich steht das eingravierte Bild für einen Beruf, dem der Verstorbene zu Lebzeiten nachgegangen ist. Aber nicht nur auf dem Friedhof, vor der Haustür oder auf Dächern dürften einem Schornsteinfeger in den nächsten Tagen häufiger begegnen. Schließlich zählen sie zu den weltweit bekanntesten Glücksboten für das neue Jahr. Dieser schon seit dem 16. Jahrhundert verbreitete Volksglaube hat seine Ursprünge in der Zeit des Mittelalters, als Schornsteinfeger die damals noch leicht entflammbaren Häuser vor Bränden schützten. Ihr Auftritt auf dem Friedhof hat daher nicht nur einen lebensweltlichen Bezug, sondern kann zugleich als Ausdruck von Zuversicht verstanden werden.
Grabstein des Monats November 2015
Abschlag! Golf und grüner Rasen – das passt zu vielen Friedhofsarealen. Kein Wunder, dass mancher passionierte Golfer sich mutmaßlich wohl fühlt, wenn er auf ewig ruht – obwohl die typischen Hindernisse und Zielfelder leider fehlen. Bemerkenswert ist an dem vorliegenden Beispiel, dass es die Bandbreite möglicher Bezugsdimensionen zeigt: Golfer und Golfschläger sind als Körpersilhouette nur angedeutet. Häufiger kommen in Stein gemeißelte Golf-Utensilien vor, und selbst den in die Grabstätte eingelassenen Putter oder den abgelegten Golfball kann man hin und wieder finden, wenn man auf Friedhöfen die Augen offen hält. Das Handicap mag in diesem Zusammenhang zwar der Tod sein, und doch wird deutlich auf eine sehr ›lebendige‹ Aktivität verwiesen. Wiederum wird der Jenseitsblick ersetzt durch den Rückblick auf die Lebenswelt.
Grabstein des Monats Oktober 2015
Das Haustier auf einem Friedhof zu begraben, ist mittlerweile kein ungewöhnliches Ansinnen mehr. Die wachsende Zahl der Tiernekropolen in den vergangenen Jahren verweist auf einen Bedeutungswandel des Heimtieres: es wird heutzutage oft als ›Familienmitglied‹ wahrgenommen, geliebt – und betrauert. Zahlreiche Tiergrabstätten zeugen vom emotionalen Stellenwert, den der animalische Gefährte zu Lebzeiten besaß und post mortem offenbar immer noch inne hat. Wie das Grab von »Bubi« demonstriert, wird die Ehre einer eigenen Ruhestätte nicht nur den beliebten Vierbeinern (Hund und Katze) zuteil, sondern zuweilen auch den gefiederten Freunden. Sie hinterlassen nicht nur einen leeren Käfig, sondern auch eine Lücke im Leben ihrer Halter – die sich selbst indes weniger als ›Besitzer‹, denn als soziale Bezugsperson definieren.
Grabstein des Monats September 2015
Fische gelten zwar traditionell als Symbole für den christlichen Glauben. Es darf jedoch bezweifelt werden, dass dieses Exemplar für einen religiösen Bezug steht. Vielmehr stellt uns dieser prächtige Bewohner der Gewässer vor die Frage, was Theophil S. damit binnen der 81 Jahre seines Lebens zu verbinden wusste? War er passionierter Angler? Bereitete er solche Tiere gerne für Mahlzeiten zu? Hat er sie gezüchtet? Oder steckt dahinter doch mehr, als der erste Anblick der Grabplatte am Kolumbarium offenbart? Wie so oft, sollen wir es auch in diesem Fall nicht genau wissen.
Grabstein des Monats August 2015
Millionen Menschen atmen auf! Denn im August rollt das runde Leder endlich wieder über den grünen Bundesliga-Rasen. Auch wenn man es vielleicht nicht auf Anhieb erwartet, ist es bis zum grünen Friedhofs-Rasen nicht weit: Neben so genannten »Fanfriedhöfen«, die optisch an ein Stadion erinnern, sind auf vielen Grabsteinen Fußbälle und die Embleme bekannter (und auch weniger bekannter) Mannschaften zu beobachten. Von der Champions-League bis zur Kreisklasse reicht dieses bunte Sammelsurium. Lieblingsvereine bieten Möglichkeiten zur Identifikation; man jubelt mit ihnen in guten Zeiten, und leidet mit ihnen in weniger erfolgreichen Tagen. Unser Grabstein des Monats ist nicht nur ein hervorragendes Beispiel für die Koexistenz von sakralen und weltlichen Bezügen – nebenbei bringt diese Konstellation auch die aktuelle Situation des FC Schalke auf den Punkt.
Grabstein des Monats Juli 2015
Das Oval ist die traditionelle Einrahmung von Grabsteinbildnissen und war in dieser Funktion schon im 19. Jahrhundert auf Friedhöfen zu finden. Nach einer längeren, historisch bedingten Unterbrechung feiern Grabsteinfotos erst seit den 1990er Jahren wieder eine Renaissance auf bundesdeutschen Bestattungsarealen. Anstelle des typischen Porträts werden die Ovale dabei zunehmend für die Darstellung geliebter Mitmenschen, Dinge oder sogar Haustiere verwendet.
Hier sehen wir ein solches Beispiel: Nicht »Romeo«, der geliebte Kater, liegt hier begraben, sondern sein Frauchen. Der Grabstein befindet sich also nicht auf einem Tierfriedhof, sondern auf einem für Menschen gedachten Gottesacker. Gleichwohl macht die Platzierung der Fotografie deutlich, was gesagt werden soll: Noch im Tode soll »Romeo« in der Nähe sein. Gut möglich, dass das Tier, dessen Antlitz nun ein Grab ziert, selbst noch quicklebendig ist.
Grabstein des Monats Juni 2015
Im Alltagsleben werden Menschen vor allem anhand ihrer Gesichter adressiert und (wieder-)erkannt. Nicht umsonst haben Gesichter in der westlichen Gedenkkultur seit langer Zeit einen festen Platz, wie beispielsweise Gemälde, Fotografien oder auch Totenmasken belegen. Folglich dürfte es auch das Gesicht sein, das einem als erstes vor dem inneren Auge erscheint, wenn man sich an einen verstorbenen Nahestehenden erinnert. Lässt man seinen Blick über die Gräberreihen des Friedhofes schweifen, begegnen einem häufig Gesichter. Neben dem Antlitz des Gekreuzigten oder der Jungfrau Maria fehlen Fotos, Gravuren oder Statuen der Verstorbenen mittlerweile auf kaum einem Totenacker. Angesichts der zunehmenden Personalisierung und Individualisierung von Grabstätten verwundert das nicht. Indem der Grabstein buchstäblich ein Gesicht bekommt, verrät er seinem Betrachter etwas darüber, wer (und wie) der Verstorbene für »seine« Hinterbliebenen gewesen ist. Just an jenem Ort, an dem der Leichnam beigesetzt und damit zum Verschwinden gebracht wurde, kann man dem Verstorbenen durch sein Abbild in die Augen schauen.
Grabstein des Monats Mai 2015
Der Geburtsort ist zwar ohne Zweifel keine individuelle Leistung, die einem Menschen nach dem Ende seines Lebens zugeschrieben werden kann: Wann, wo und unter welchen Umständen das Leben beginnt, kann niemand selbst steuern. Anders sieht es allerdings aus, wenn man sich bewusst mit einer Stadt in Verbindung bringt und dadurch auf eine spezifische Mentalität, auf eine Haltung, vielleicht sogar auf einen bestimmten Dialekt verweist. Entsprechende Brücken zwischen Person und Ort werden auf zeitgenössischen Friedhöfen gar nicht so selten geschlagen, wie unser Grabstein des Monats stellvertretend unter Beweis stellt. Hier ruht »ne Kölsche Jung«, der sicherlich noch weitere soziale Rollen gespielt hat und nicht allein Kölner war. Aber die Verbindung zur Domstadt war ihm selbst (oder seinen Hinterbliebenen) wichtig genug, um sie über den Tod hinaus zu bewahren.
Grabstein des Monats April 2015
Der Frühling steht vor der Tür! Damit beginnt die Zeit, in der viele Menschen ihre Fahrräder wieder aus dem Schuppen holen, sich auf den Sattel schwingen und kräftig in die Pedale treten. Schließlich ist der Drahtesel häufig nicht nur bloßes Fortbewegungsmittel, sondern gehört zu den beliebtesten Freizeitgegenständen für Jung und Alt. Zwar führen die Radwege (noch?) nicht über den Totenacker – als lebensweltliches Symbol für Freizeitbeschäftigung, Wettkampf, Zielankunft etc. hat das Fahrrad mitsamt seinem Zubehör dennoch längst die modernen Grabsteine erreicht. Die Variationenvielfalt ist beeindruckend, und man könnte fast meinen, dass zumindest an diesem Ort das Rad immer wieder neu erfunden wird: Vom Rennrad über Mountainbike und BMX bis hin zu Tandem und Dreirad lässt sich auf den Friedhöfen von heute mittlerweile alles finden, was Radlerherzen höher schlagen lässt
Grabstein des Monats März 2015
Mit dem Tod wird bildersprachlich die Reise in eine andere Welt angetreten. Alternative Wirklichkeiten lassen sich aber schon im Diesseits finden, und für viele Menschen ist die Begegnung mit fremden Kulturen in fernen Ländern eine reizvolle Herausforderung. Unser Grabstein des Monats präsentiert zum einen das Motorrad als symbolisches Instrument des Verreisens und Vorankommens und zum zweiten Afrika als wohl nicht nur sinnbildlichen, sondern in diesem Fall offenbar ganz konkreten Sehnsuchtsort: in der Gravur ist Kamerun hervorgehoben. Kontrastiert werden beide bildhaften Darstellungen durch eine heute eher seltene Inschriftart – einen biblischen Psalm.
Grabstein des Monats Februar 2015
Hobbys und Leidenschaften zählen zu den häufigsten Motiven moderner Grabsteine. Das ist nicht verwunderlich, wird doch die letzte Ruhestätte immer stärker im Sinne eines Rückblicks auf eine individuelle Lebenswelt eingerichtet. Geliebte Freizeitbeschäftigungen sind dazu geeignet, denn sie werden oft ein Leben lang an verfolgt bzw. geschätzt. Außerdem können sie am Grab meist durch einfache Symbole ausgedrückt werden, die wenig Platz und in der Regel keiner weiteren Erläuterung bedürfen. Sofort weiß jeder, was gesagt werden soll, wenn etwa ein Fußball, eine Trompete oder ein Fahrrad die Grabstätte ziert.
Anders in diesem Fall: Dass es sich bei »DL2SDU« nicht um eine Geheimsprache handelt, sondern um einen Codenamen im Hobbysprechfunk, dem der Verstorbene früher offenbar passioniert nachging, dürfte nur von »Kennern« auf Anhieb entschlüsselt werden.
Grabstein des Monats Januar 2015
Während Neugründungen von regulären Friedhöfen in Deutschland mittlerweile zur Seltenheit geworden sind, florieren Tierfriedhöfe umso mehr. Dies ist nur eines von mehreren Indizien, die dafür sprechen, dass Haustieren auch im Bestattungskontext eine immer größere Rolle zukommt. Frauchen und Herrchen trauern heute offener – und auch investitionsfreudiger – um ihre verlorenen Lieblinge, als jemals zuvor.
Bekanntlich sind Tierdarstellungen aber auch auf Menschenfriedhöfen sichtbar; diese Verweise sind ambivalenter, beziehen sie doch neben den Haus- auch Nutz- und Symboltiere mit ein.
Unser Grabstein des Monats tanzt insofern aus der Reihe, als die häufigsten Grabsteintiere heute Katzen und Elefanten sind – während dieses Grab einen Vogel hat. Wir sehen einen gefiederten Freund, der womöglich als Haustier Freude bereitet hat und/oder nun ein »Hinterbliebener« ist, der, auf der Käfigstange sitzend, um die verstorbene Person trauert. Deutlich wird in jedem Fall, dass die Mensch-Tier-Beziehung intensiv genug war, um mit ins Grabensemble aufgenommen zu werden. Während sonst allenfalls ein menschlicher Konterfei in den Stein graviert wird, ist es hier das »Antlitz« eines geliebten Vogels.