Grabstein des Monats Dezember 2016
Weiße Weihnachten dieses Jahr? Das steht noch in den Sternen! Aber zumindest auf diesem Grabstein fallen schon einmal die ersten Flocken. Auch wenn das Rodeln auf den meisten Friedhöfen nicht erlaubt ist, zeigt sich gerade an diesem Ort, dass die persönlichen Vorlieben der Verstorbenen alles andere als Schnee von gestern sind, sondern bis in die Gegenwart – und mitunter weit darüber hinaus – präsent gehalten werden. Hier wird möglicherweise einer Zuneigung zur weißen Pracht Ausdruck verliehen, vielleicht werden die Eiskristalle aber auch als ästhetische Zeichen für menschliche Eigenschaften verstanden: Individualität und Vergänglichkeit.
Grabstein des Monats November 2016
Zu den eher geläufigen Metaphern der Kulturgeschichte des Todes gehört der Vergleich des Lebens mit einem Spiel oder einem Konkurrenzkampf, den nicht jeder gewinnen kann. Entsprechende bildersprachliche Darstellungen säumen auch und gerade die Grabstätten, die gegenwärtig angelegt werden; denn Spielen und spielerische Elemente sind auch in den Lebenswelten immer verbreiteter, weshalb sollten sie dann nicht auch im Tod repräsentiert sein?
Das Schachspiel stellt vor diesem Hintergrund eine besondere interessante Variante dar, handelt es sich doch um ein komplexes, in unendlichen Spielzügen durchführbares und eher als intellektuell geltendes Freizeitvergnügen mit durchaus sportlichen Implikationen. Wir sehen hier eine Anordnung, bei der der schwarze Turm vom weißen Springer unmittelbar bedroht ist – eine Abbildung, die etwas über die Lebens- oder Todesumstände der/des Verstorbenen mitteilen will, oder eine rein ästhetische Darstellung? Das bleibt im Dunkeln. Klar jedoch ist, dass das Schachfeld und seine Figuren dem Stein eine eigenwillige Note verleihen, die sich auf verschiedene Weise mit dem Verhältnis von Leben und Tod verknüpfen lässt. Sterben als Schachmatt begreifen ist nur eine davon.
Grabstein des Monats Oktober 2016
»Narrenhände beschmieren Tisch und Wände«, sagt der Volksmund. Heutzutage hört man diesen Spruch gehäuft in Verbindung mit Graffiti. Über die ästhetische Qualität dieser bunten Bilder, Zeichen und Schriftzüge kann man sicherlich streiten. Ob als Vandalismus verpönt oder als Kunst gefeiert, Graffiti sind innerhalb der Jugendkultur fest verwurzelt. Sie lassen sich als kreativer Akt der Selbstdarstellung und Ausdruck von Persönlichkeit betrachten, den man mittlerweile nicht nur an Hausfassaden, Mauern, Brückenpfeilern oder Bahnwagons bewundern kann – auch so mancher Grabstein versprüht auf diese Weise Originalität. Wie die Ruhestätte eines szenebekannten Graffitikünstlers untermalt, ist das so genannte ›tag‹ zumindest an diesem Ort nicht illegal, sondern ein legitimer Verweis auf die dominierende Freizeitpassion des Verstorbenen.
Grabstein des Monats September 2016
Der Weltraum – unendliche Weiten… Bezüge auf Sternebilder, Himmelszeichen, Planeten und andere Gestirne bieten sich zur Personalisierung des Grabsteins insofern an, als sich daraus gleich mehrere Bezüge zu Lebenswelten herstellen lassen: Ob man nun astrologisch oder astronomisch begeistert war oder die Symbolik des Unendlichen mag; ob man römische Religionskonzepte oder die Ästhetik typisierter Weltraumdarstellungen mochte; ob man passioniert durch das Teleskop schaute oder schlichtweg einen ansehnlichen Kontrast zu den üblichen Darstellungen wünscht, die Sterne machen, wie unser aktuelles Beispiel zeigt, vieles möglich.
Grabstein des Monats August 2016
Zur Sommerzeit haben die Biergärten bekanntlich Hochkonjunktur; der Gerstensaft fließt in Strömen. Auch bei unserem Grabstein des Monats ist weder Hopfen noch Malz verloren! Anstelle eines Steines handelt es sich diesmal um ein kreatives Blumenkunstwerk, das den Betrachter zum Schmunzeln einlädt. So vertraut einem der Anblick von Blumen auf dem Friedhof ist, so sehr ist man überrascht, wenn man einem solchen Arrangement begegnet. Die »Freunde aus der Pilsstubb« haben diesen nicht unbedingt bierernst anmutenden Abschiedsgruß vor einer Urnenwand hinterlassen. Auf ausgefallene Weise machen sie damit deutlich, dass neben den Familienangehörigen zunehmend auch andere Bezugspersonen an der Ruhestätte als Trauernde in Erscheinung treten. Soziologen sprechen hierbei von »posttraditionalen Gemeinschaften«, die in der modernen Gesellschaft – auch über den Tod hinaus – an Bedeutung gewonnen haben.
Grabstein des Monats Juli 2016
Über den Wolken ist die Freiheit bekanntlich grenzenlos. Diese luftige Metapher hat in verschiedenen Darstellungsvarianten längst auch die ›Gegenrichtung‹ erreicht, nämlich den Friedhof. Hier geht es nicht um weite Höhen, sondern eher um das Begraben in 2 Meter Tiefe. Und doch ist das Sinnbild passend; denn der Tod ist schließlich nicht lediglich eine körperliche Angelegenheit, sondern wirft auch Fragen nach Charakter, Geist, Seele, Bewusstsein usw. auf. Diese wahre Essenz des Menschen kann, mag dieser Grabstein besagen, post mortem tatsächlich über bzw. zwischen den Wolken schweben – in einer unendlichen Weite, die der unendlichen Zeitspanne des Totseins entspricht.
Grabstein des Monats Juni 2016
Der Adler gilt nicht nur als ein beliebtes Wappentier, sondern er fungiert gerne auch als Sinnbild für menschliche Eigenschaften: Kraft, Mut, Weitblick, Macht – und Unsterblichkeit. In der Symbolik des Christentums ist er zudem als Zeichen für die Himmelfahrt bekannt. Die Zuschreibung derartiger Attribute macht den »König der Lüfte« zu einem Zeitgenossen, den man nicht nur im Wildpark, sondern auch auf dem Friedhof beobachten und bewundern kann. Seine (nicht nur) steinerne Präsenz gibt an diesem Ort Auskunft darüber, welche Persönlichkeitsaspekte wichtig sind, wenn sich Menschen aneinander erinnern.
Grabstein des Monats Mai 2016
Ob man der D-Mark nun nachtrauert oder nicht – Wiederbegegnungen mit der alten Währung haben etwas Nostalgisches an sich. Das ist auf dem Friedhof nicht anders. Hier wurde einem Anhänger der Philatelie seine Leidenschaft ans Grab montiert – oder handelt es sich um einen Freund der Stadt Lübeck? Ganz deutlich wird das nicht. Wer weiß; vielleicht ist die Briefmarke auch ein subtiler Hinweis, dass man sich zu Lebzeiten öfter schreiben sollte, wenn man sich nicht häufig sieht, bevor die Gelegenheit dazu irgendwann fehlt.
Grabstein des Monats April 2016
Auch die pragmatische Lösung möchten wir einmal würdigen! Heute werden Gräber zunehmend schlichter eingerichtet. Das soll auch für diesen Kommentar gelten.
Grabstein des Monats März 2016
Viele Friedhofsbesucher, die sich moderne Friedhofsareale etwas aufmerksamer anschauen, überrascht es, an den Ruhestätten erwachsener, mitunter hochbetagt Verstorbener auf Bilder, Symbole und Figuren zu treffen, die gemeinhin mit der Kindheit und Jugend assoziiert sind.
So auch in diesem Fall, wo ein Teddybär – vermutlich ein ganz spezielles Fabrikat – das Grab einer beinahe 65-Jährigen ziert. Während in solchen Fällen stets die Möglichkeit gegeben ist, dass zwischen der verstorbenen Person und ihrem Grabmotiv ein beruflicher Zusammenhang bestand, darf wohl in den meisten Fällen eher davon ausgegangen werden, dass mit dem Lebensende ein Rückblick an den Lebensanfang hergestellt wird.
Der Teddybär fungiert nicht nur als Symbol der Kindheit, sondern steht auch für eine Lebensphase, in der man sich geborgen wähnen durfte, in der gesellschaftliche Zwänge kaum zu spüren waren und in der Welt ein großes Abenteuer zu sein schien, das jeden Tag ein wenig genauer durchleuchtet wird. Mit wachsendem Alter entfernen Menschen sich von dieser Haltung. Manche erinnern sich später gerne dieser Zeit und sprechen darüber – und Angehörige, die zuhören, können daraus ablesen, wie sich ein Lebenslauf am Grabstein symbolisch schließen lässt.
Grabstein des Monats Februar 2016
Alaaf und Helau! Ob Fasching, Fastnacht oder Karneval: auch auf dem Friedhof sind die Jecken los. Büttenrede statt Trauerrede, und Kamelle statt Blumen? Angesichts so mancher Gestaltungsidee könnte man es zumindest meinen. Denn hier trifft man mittlerweile immer häufiger auch auf solche Elemente, die während der fünften Jahreszeit nicht fehlen dürfen. Die Narrenkappe gilt dabei als ein beliebtes Sinnbild, das für eine Passion, eine Berufung, eine Charaktereigenschaft oder auch für eine Lebenseinstellung stehen kann. Unser Grabstein des Monats berichtet vom bunten Treiben, das offenbar nicht nur das Leben bestimmt hat – und er zeigt, dass selbst nach dem Tod kein Aschermittwoch sein muss. Einmal mehr wird deutlich, wie vielfältig der zeitgenössische Umgang mit Verlust und Erinnerung ausfällt. Und oft bedeutet das auch: Der Humor endet nicht vor dem Friedhofstor!
Grabstein des Monats Januar 2016
Zu den traditionellen Grabsteinsymboliken, die im deutschsprachigen Raum seit Jahrhunderten auf dem Friedhof gefunden werden können, gesellen sich zunehmend Zeichen, Schriften und kalligrafische Elemente, die offenkundig wenig bzw. nichts mit klassischer Bestattungskultur zu tun haben.
Ein solches Beispiel zeigt unser Grabstein des Monats: Die dreidimensional dargestellte Pyramide ist ein durchaus bedeutungsvolles, kulturhistorisch sehr altes Symbol, das im Zusammenhang mit der ägyptischen Pharaonenkultur sogar recht deutlich als Referenz auf Lebensende und Begräbnis interpretiert werden kann. Und doch geht es nicht um Anjotef oder Ramses, sondern um Hans-Udo, der hier seine letzte Ruhestätte gefunden hat, und der mit der Pyramidenskizze offenbar mehr zu assoziieren wusste, als sein Grab auf den ersten Blick preisgibt.