Grabstein des Monats Dezember 2018
Für manche Friedhofsroute braucht man festes Schuhwerk. Das hier vorgefundene Modell eignet sich wohl nur bedingt – nicht zuletzt, weil es in einen Grabstein gemeißelt wurde. Die Beziehung zwischen dem Paar Schuhe und den Paarbeziehungen, die die verstorbene Person zu Lebzeiten gepflegt hatte, sind nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Ganz sicher jedoch stehen die Schuhe für einen Subtext, der über die Originalität des Motivs hinausgeht. Sie reihen sich ein in die große Vielfalt der Bekleidungsstücke, die mittlerweile als Grabmotive herhalten: Mäntel, Hüte, Krawatten, Shirts, Handschuhe, Hosen… Alles, was der gut sortierte Kleiderschrank benötigt, findet sich heute auf dem gut individualisierten Friedhof.
Grabstein des Monats November 2018
Und wenn man dir kein Papier hinlegt – dann nimm doch einfach den Grabstein! Der Grabstein des Monats im November gehört in die Reihe jener gar nicht einmal seltenen Bekenntnisse oder Aufrufe, sich gegen den Konformismus zu stellen; bzw. zu legen. Es darf vermutet werden, dass die hier bestattete Person zu Lebzeiten öfter mal unbequem bzw. querdenkerisch veranlagt war. Gewiss sind dies Etiketten, die sich heutzutage in der Selbstbeschreibung nahezu jeder anheften würde. Wird derlei allerdings als Friedhofsbilanz gezogen, als Weltabschiedsworte lesbar für die Gemeinde, der man angehörte, und denen zum Gruße, die noch einmal vorbeischauen, darf wohl durchaus von einem authentischen Kern ausgegangen werden.
Grabstein des Monats Oktober 2018
Nicht nur auf den Nekropolen Südeuropas ein vertrauter Anblick – auch hierzulande sind Fotografien an Grabsteinen inzwischen nichts Ungewöhnliches mehr. Nachdem die Bebilderung der Ruhestätte in Deutschland Jahrzehnte lang unpopulär, in einigen Friedhofssatzungen sogar ausdrücklich verboten war, kommen Gräber in letzter Zeit immer seltener ohne Fotobegleitung aus. Just an dem Ort, an dem ein toter Körper bestattet, also unsichtbar gemacht wurde, tritt ein lebender Körper in Gestalt seines fotografischen Stellvertreters in Erscheinung. Der Begräbnisort erhält somit buchstäblich ein Gesicht und Friedhofsspaziergänge erinnern mehr und mehr an das Betrachten eines Fotoalbums, das immer mal wieder auch Überraschendes bereithält. Die Bandbreite der Bildvarianten ist so enorm wie die heutige Vielfalt des Lebens; zum klassischen Porträt im (Porzellan-)Oval gesellen sich zunehmend Aufnahmen, die den Protagonisten bei der Ausübung einer bestimmten (meist für seine Lebenswelt charakteristischen, oft auch schlichtweg alltäglich-profanen) Tätigkeit zeigen – hier dominiert vor allem der Freizeitkontext. Alltagsschnappschüsse, die ursprünglich mit ganz anderen Absichten entstanden sind, erhalten auf diese Weise eine veränderte, möglicherweise noch größere persönliche Bedeutung. Und nicht immer ist es der Betrauerte selbst, der an seinem Grab visuell repräsentiert wird; die Darstellung von Hinterbliebenen, Landschaften, Gebäuden, Gegenständen oder Tieren ist mittlerweile ebenfalls nicht untypisch. Letzteres trifft auch bei unserem frisch gekürten Grabstein des Monats zu. Der Vogel, der dem Betrachter da aus dem Oval entgegen zwitschert, könnte durchaus mehrere Lesarten provozieren, wäre da nicht der ergänzende Hinweis auf Johannas frühere Berufstätigkeit (oder war es ihre Freizeitpassion?). Was im Leben wichtig war, wird nun post mortem nicht nur in Wort, sondern eben auch in Bild zum Ausdruck gebracht – und dadurch zum Erinnerungsanker.
Grabstein des Monats September 2018
An der Stätte seines Todes, dort, wo sein Leichnam bis ans Ende aller Zeiten gebettet sein soll (das meint: bis zur Aushebung des Grabes), erkennen wir, dass Heinzl noch lebt. Vorausschauend, wie er nun einmal lebt und denkt, hat er die Graborganisation zu Lebzeit in die eigenen Hände gelegt und den zukünftigen Hinterbliebenen Entscheidungsballast abgenommen. Oder misstraut er ihnen etwa..? Die Grabgestaltung ist recht traditionell, einzig die Prominenz des Spitznamens – wenn es denn einer ist – fällt aus dem Rahmen. Dennoch, sicher ist sicher. Immer mehr Menschen ziehen es vor, an ihrer eigenen Trauerstätte noch ganz untraurig stehen zu können, um wissen zu dürfen: so wird das also alles aussehen, wenn ich nicht mehr hier stehe, sondern dort unten liege. Wenn’s denn überhaupt das Ich ist, was hier begraben wird. Und nicht lediglich der Körper. Ist das beides dasselbe? Tja. Wenn Heinzl das wüsste.
Grabstein des Monats August 2018
Mit Temperaturen von weit über 30 Grad Celsius läuft der Sommer gerade zur Höchstform auf. Nicht für jeden ist das ein Vergnügen – wohl aber für Freunde des Wassersports! Besonders populär seit einigen Jahren ist das Surfen. Das ursprünglich von der Südsee stammende Wellenreiten wird inzwischen weltweit in unterschiedlichen Varianten praktiziert. Surfbretter erweisen sich damit als treue Begleiter bei jedem Wellengang – und sie finden sogar auch nach dem Ende manchen Surferlebens ihren Platz an der letzten Ruhestätte, etwa als Fotografie, als eingraviertes Motiv, als abgelegtes Original – oder, wie hier zu sehen, als steinernes Monument einer Leidenschaft. Gerade in diesem Kontext kann man ihnen ebenso eine gewisse Symbolik zuschreiben: das Auf und Ab des Lebens hat ein jeder auf seine Weise zu meistern. »You can’t stop the waves, but you can learn to surf.«
Grabstein des Monats Juli 2018
Es gibt Grabstätten, die auf den ersten Blick all das, was Grabstätten gemeinhin auszeichnen, nicht haben. Ihnen fehlt eine Namensangabe, die Lebensdaten sind nirgends verzeichnet, keine Platte, keine Inschrift ziert das Grab. Stattdessen, wie in unserem Grabstein des Monats, eine Handvoll Steine, darüber Moos und dazwischen Pflanzengewächse, welche – wer weiß – die vielleicht einstmals sichtbaren Zeichen überwuchert haben und der Ruhestätte das Image eines Naturphänomens verleihen. Hätte sich die Friedhofsverwaltung nicht dazu entschieden, per Zahlenindex darauf aufmerksam zu machen, dass nicht gärtnerische Eingebung, sondern durchaus eine Bestattung hinter diesem grünen Ensemble steht, wer hätte hier den Ablagerungsort für eine Leiche vermutet? Womöglich gehört er einem berühmten Psychologen; sichtbar gemacht wird dies jedenfalls nicht.
Grabstein des Monats Juni 2018
30 Meter ragt sie in die Höhe, ihre Arme hat sie weit ausgestreckt, ihr Blick ist auf den Zuckerhut gerichtet, und unter ihr breitet sich die Metropole von Rio de Janeiro aus. Die weltberühmte Cristo Redentor ist nicht nur brasilianisches Wahrzeichnen, Touristenmagnet und Vorbild für weitere Christusstauen an anderen Orten, sondern findet in Miniaturformat offensichtlich auch als Grabsteinmotiv Verwendung. Ob im vorliegenden Fall der christliche Glaube zum Ausdruck gebracht oder auf ein beliebtes Reiseziel der Verstorbenen verwiesen wird (oder beides), lässt sich nicht sicher sagen. Möglicherweise ist diese Mehrdeutigkeit aber auch bewusst beabsichtigt, wie mittlerweile auch zahlreiche weitere Grabgestaltungen nahelegen, die Sie in unserer Bildergalerie bestaunen können.
Grabstein des Monats Mai 2018
Eine namenlose Frau, dermaßen unbekleidet, dass sie nicht einmal über ein Gesicht verfügt; ihre makellose Figur angedeutet in wenigen Strichen; ihre Identität reduziert auf handgefertigte Konturen aus leblosem Material. Es geht hier weder um eine Strandszenerie, noch um Magazine aus der obersten Reihe im Zeitschriftenregal – sondern, natürlich, um den Grabstein des Monats.
Körperfiguren am Grab sind aufmerksamen LeserInnen dieser Rubrik ein vertrauter Anblick. Dass die Bestattungskultur längst Leiblichkeiten aufbietet, die aus dem Darstellungskanon mit vertrauten religiösen Protagonisten fallen, kann auf vielen Friedhöfen im deutschsprachigen Raum bezeugt werden. Aber es muss denn gleich eine nackte Frau sein? Die Antwort lautet offenkundig ja, und das hier gezeigte Beispiel gehört noch zu den abstrakteren, zu denjenigen Versionen des Kernmotivs also, die die näheren Details aussparen. Wir hätten Ihnen an dieser Stelle auch Grabstätten zeigen können, die der Fantasie weit weniger Spielraum lassen.
Mit anderen Worten: eine spezifische Idee lässt sich auf vielfache Weise zum Ausdruck bringen. Subtil, plakativ oder andeutungsvoll – von allen Varianten gibt es Realisierungen, hier und da wird darum gestritten, und allemal darf gerätselt werden, was die versteckte Bedeutung sein mag, die für gewöhnlich der Grabstein nicht verrät – und die es dennoch gibt?
Grabstein des Monats April 2018
Antoine de Saint-Exupérys Geschichte vom kleinen Prinzen (Erstveröffentlichung am 6. April 1943 in New York) rührt seit fast auf den Tag genau 75 Jahren Generationen von Lesern zu Tränen. Sie handelt von einem Piloten, der nach einer Notlandung in der Wüste auf den kleinen Prinzen trifft. Dieser berichtet ihm von seinem Heimatplaneten, seinen Reisen durch das Universum und seiner unentwegten Suche nach Freunden. Die Erzählung ist vor allem für ihren hohen Symbolgehalt bekannt: Liebe, Sehnsucht, Einzigartigkeit – zwischenmenschliche Werte, die nicht zuletzt dann von Bedeutung sind, wenn es darum geht, sich von einer geliebten Person zu verabschieden, sich an sie zu erinnern und die einmalige Beziehungsqualität zum Ausdruck zu bringen. Es ist daher kein Zufall, dass man dem kleinen Prinzen mittlerweile in zahlreichen Varianten auch auf dem Friedhof begegnen kann – nicht nur an Kindergräbern, wie unser neuester Grabstein des Monats beweist.
Grabstein des Monats März 2018
»Mein kleiner grüner Kaktus stirbt draußen am Balkon…« Grün sieht dieser Kaktus nicht aus, aber grün muss man ihn sich wohl vorstellen. Herbert wird hier mit einem floristischen Gruß verabschiedet – aber nicht, wie man es traditionell kennt, mit einem Blumenwurf bei der Bestattung oder mit dem Ablegen eines Gewächses an der Grabstätte. Die stachelige Pflanze ziert vielmehr den Grabstein und deutet damit an, dass Herbert entweder eine persönliche Beziehung zu Kakteen gepflegt hat bzw. eine bildersprachliche Bedeutung hinter dem Grab steht, die nicht auf den ersten Blick erkennbar sein soll.
Grabstein des Monats Februar 2018
Dass der Friedhof zunehmend bunter wird, das zeigen unsere Funde immer wieder aufs Neue. Mit der Individualisierung des Totenackers gehen nicht zuletzt auch Effekte der Globalisierung und Migration einher. Für Menschen, die ihr Herkunftsland aus unterschiedlichen Gründen verlassen haben, stellt sich am Ende ihres Lebens einmal mehr Frage nach dem Ort ihrer Heimat – und dem ihrer Beisetzung. Ist Heimat dort, wo man geboren wurde und aufgewachsen ist? Dort wo man sich die längste Lebenszeit aufgehalten hat? Wo einen die meisten Leute kennen? Wo man die schönsten Momente erleben durfte? Oder etwa dort, wo man seine letzten Lebensjahre verbracht hat? Gerade wenn es darum geht, einen geeigneten Beisetzungsort zu finden, drängen sich solche Überlegungen auf. Was bedeutet es vor diesem Hintergrund, sich ›in Heimaterde‹ bestatten zu lassen? Es lässt sich jedenfalls feststellen, dass Beisetzungen immer häufiger nicht mehr im Herkunftsland stattfinden, sondern im Migrationsland, in dem sich das Leben (größtenteils) abgespielt hat. Auf manchen Friedhöfen gibt es mittlerweile sogar eigene Felder, auf denen Menschen einer bestimmten Kultur-, Religions-, oder Nationenzugehörigkeit mit entsprechenden Ritualen und besonderer Grabästhetik bestattet werden können. Auf diese Weise findet die kulturelle Vielfalt, die die moderne Gesellschaft prägt, auch post mortem eine Fortsetzung.
Grabstein des Monats Januar 2018
Wir wünschen unseren Leserinnen und Lesern ein schönes und vor allem lebendiges neues Jahr! Wie ließe sich ein solcher Wunsch besser illustrieren, als mit Zweisamkeit, Sonnenstrahlen – und einem Frosch? Ob die Sonne vor diesem Pärchen unter- oder doch vielleicht aufgeht, soll hier nicht entschieden werden. Tröstender erscheint da schon die durchaus positiv gestimmte Mine des amphibischen Beobachters – zumal Frösche in verschiedenen Kulturen als Glücksbringer und sogar als Fruchtbarkeitssymbole angesehen werden. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen allen ein vielfach erfolgreiches 2018!