Grabstein des Monats Dezember 2019
Ein nicht ganz ernst gemeintes Abschiedswort zum Ende einer Rubrik…
Vor fast sechs Jahren, am 9. Februar 2014, entstand in einer Homepageaktion der GdM: Heute beenden wir dieses Projekt. Die Bilderpräsentation in Form des GdM ist nun Geschichte.
Wir, das sind alle, die bis zuletzt den GdM organisiert haben. Wir tragen diesen Schritt gemeinsam. Der GdM stand immer im Widerspruch zu den Bewußtseinsmentalitäten eines Großteils dieser Gesellschaft. Da die ›Avantgarde‹ seit vielen Jahren einiges mit unserem Verständnis von Friedhöfen zu tun hat, so läßt die Konzeption des GdM die tatsächliche Aufhebung davon nicht zu. Auch deswegen können wir dieses Konzept loslassen.
Wir möchten in diesem Moment unserer Geschichte alle grüßen und ihnen danken, von denen wir auf dem Weg der letzten sechs Jahre Solidarität bekommen haben, die uns in verschiedenster Weise unterstützt haben und die von ihrer Grundlage aus mit uns zusammengearbeitet haben. Wir denken an alle, die überall in der Welt mit der Folge eines Grabsteins des Monats gestorben sind. Ihr Tod ist schmerzlich, aber niemals umsonst. Unser Dank und unsere ganze Achtung gilt denjenigen Lesern der Rubrik, deren Namen wir nicht nennen können, weil wir sie nicht kennen.
Unser Finale präsentiert einen Stein in edelster (Ver-)Fassung. Er ziert kein Grab – aber ist vielleicht eins. Auch wenn es in Deutschland illegal ist, entscheiden sich hierzulande jährlich hunderte Menschen, aus dem Kohlenstoffanteil der Kremationsasche einer geliebten Person einen Diamanten pressen zu lassen. Das Erinnerungsobjekt ist damit sowohl mobil wie auch ›körperlich‹. Es bietet sich als Schmuck an, darüber hinaus aber auch als ›sozialer‹ Gegenstand.
Wer mehr darüber wissen möchte, wie Menschen mit diesem Juwel im Alltag umgehen, der sollte unser neues Buch »Der Glanz des Lebens. Aschediamant und Erinnerungskörper« konsultieren…
Grabstein des Monats November 2019
Ein Kinderschuh auf dem Grabstein. Ein Zufallsfund, den Friedhofsbesucher um der besseren Sichtbarkeit willen an der nächstbesten Ruhestätte abgelegt haben? Oder doch ein intimer Verweis, der mit voller Absicht erfolgt und der den Angehörigen klar ist – nicht aber uns, den uneingeweihten Betrachtern? Diese Fragen stellen sich aufmerksamen Besuchern von Nekropolen immer wieder einmal. Zwischen der beabsichtigten Positionierung von Artefakten des Alltags und der Platzierung unerwarteter Fundstücke ist das riesigen Spektrum der Gegenstände lokalisiert, die nicht zum Friedhof gehören – vielleicht aber doch. Erinnerungskultur ist nicht immer Gegenstandskultur. Aber immer öfter.
Grabstein des Monats Oktober 2019
Abbildungen von historischen Gebäuden bzw. Denkmälern sind auf Grabsteinen durchaus verbreitet. Häufig stehen sie für Heimat-, Urlaubs- oder schlichtweg für Sehnsuchtsorte. Viele von ihnen lassen sich auf Anhieb leicht wiedererkennen und ihrem korrekten geografischen Standort zuweisen. Das ist aber nicht immer so. Angesichts der ebenfalls eingravierten Narrenkappe hätte man im vorliegenden Beispiel wohl eher mit dem Kölner Dom als bauliches Pendant gerechnet. Tatsächlich aber handelt es sich um das an der Kieler Förde gelegene Marine-Ehrenmal von Laboe. Über 70 Meter ragt es in den Himmel und gewährt seinen zahlreichen Besuchern nicht nur eine museale Ausstellung, sondern auch einen fabelhaften Blick auf die Ostsee. Ursprünglich als Gedenkstätte für die im Ersten Weltkrieg ums Leben gekommenen deutschen Marinesoldaten errichtet, erinnert das Bauwerk heute an sämtliche ›auf See Gebliebene‹ aller Nationen.
Grabstein des Monats September 2019
Spider-Man als Grabsteinfigur ist einerseits ein heldenhaftes Idol, die der Junge, an dessen Grab sich das Netz entspinnt, zu Lebzeiten verehrt haben dürfte. Andererseits ist sein Auftritt inmitten der Nekropole ein Hinweis auf den Austausch der Heiligenfiguren. Populärkulturelle Fantasiewesen treten an die Stelle religiöser ›Stars‹ und Transzendenz und Immanenz vermischen sich. Die Zukunft des Grabes wird sich nicht trennen lassen von der Zunahme an Profanisierung, die den sozialen Wandel der Bestattungskultur längst schon begleitet.
Grabstein des Monats August 2019
August kommt! Genauer gesagt: Er ist schon da. Unser Grabstein des Monats ist auf dem berühmten Pariser Père Lachaise zu finden. Der Protagonist, der hier seit nunmehr 162 Jahren ruht, dürfte wohl nicht jedem bekannt sein. Soziologen dagegen schon. Schließlich darf der französische Denker, eigentlich gelernter Philosoph, zu den Mitbegründern ihrer Disziplin gezählt werden, die er zunächst als »soziale Physik« bezeichnete. Aber nicht nur das ist ein Grund, ihn auf dieser Webseite zu würdigen, immerhin hat er sich auch mit dem Tod beschäftigt; überliefert ist sein Postulat: »Les morts gouvernent les vivants« – die Toten regieren die Lebenden.
Grabstein des Monats Juli 2019
Das lange Warten hat sich gelohnt – unser neuer Grabstein des Monats ist da!
Gerade in diesen Tagen ist sie wieder einmal Dauerthema: die Temperatur. Doch lässt sie uns nicht nur schwitzen und bibbern, auch in unserem alltäglichen Sprachgebrauch ist sie eine beliebte Metapher, geht es um die Beschreibung des sozialen Miteinanders und persönlicher Charaktereigenschaften. Nicht mit jedem Menschen wird man auf Anhieb warm, manchem zeigt man sogar bewusst die kalte Schulter. Wen etwas freudig berührt, dem kann schnell warm ums Herz werden, bei unangenehmen Situationen läuft es einem hingegen eiskalt den Rücken herunter. Wer sich auf ein Wagnis einlässt, der begibt sich auf dünnes Eis – vielleicht auch deshalb, weil er ein heißes Eisen anfasst, an dem er sich leicht die Finger verbrennen kann.
Es leuchtet ein, dass das soziale Klima auch und gerade an Begräbnisorten gemessen wird. Sie sind der postmortale Schmelztiegel von Abschiedsritualen, symbolischer Beziehungspflege, Kundgaben von Melancholie, Wut, Resignation, Hoffnung, Dankbarkeit, Nostalgie und vielem mehr. Am Grab befestigte fotografische Grüße aus der Vergangenheit frieren die Zeit auf ihre Weise ein. Und auch die Inschriften loten die gesamte Skala des Thermometers umfangreich aus. Ihre Stimmungen schwanken zwischen Gefrier- und Siedepunkt: Frostige Bemerkungen treffen auf heißblütige Liebesschwüre und Rückblicke auf schweißtreibende Hobbys; es wird von coolen Typen mit warmen Herzen genauso Abschied genommen wie von feurigen Temperamen-ten. Diese und andere Beispiele machen deutlich: Der Tod ist gewiss – ungewiss ist nur seine Temperatur.
Grabstein des Monats Juni 2019
Gegenwärtig fühlen sich nicht mehr allzu viele Menschen von Christus gedrängt. Hier wird ein traditionelles christliches Bekenntnis nun aber mit einem Globalisierungssymbol verbunden – kein neuer Gedanke, in dieser optischen Aufmachung aber doch eine interessante Zusammenstellung. Dieses Grab bestätigt die von uns schon mehrfach angesprochene These, dass das Neue und das Alte sich in der Bestattungskultur zunehmend ineinander verschränken.
Grabstein des Monats Mai 2019
Seit über 60 Jahren ziehen sie Jung und Alt in ihren Bann. Nicht nur in Schlumpfhausen, in Comics, im Fernsehen oder Kino, sondern auch auf Friedhöfen kann man den kleinen blauen Wesen mittlerweile begegnen. Damit sind sie nicht allein, denn immer häufiger findet man an zeitgenössischen Ruhestätten kreative Bezüge zur Populärkultur. Bekannte Figuren aus der Medienwelt, aus Fabeln, Märchen oder Mythologien sind Teil des kollektiven Gedächtnisses, sie liefern vielseitige Identifikationsmöglichkeiten – und sie zaubern so manchem Grabbesucher ein Lächeln ins Gesicht, indem sie Kindheitserinnerungen wieder aufleben lassen. Mit den Verstorbenen stehen sie insofern in Verbindung, als sie einerseits etwas über deren Interessen verraten und zum anderem stellvertretend für bestimmte Charaktereigenschaften stehen können.
Grabstein des Monats April 2019
Zwei Zahnräder greifen ineinander – und symbolisieren so den Zusammenklang zweier Lebensentwürfe. Nebenbei geben sie Auskunft über einen beruflichen Zusammenhang, und nicht zuletzt zeigen sie, dass die Steinmetzkunst nie an den Punkt des Durchspielens aller Gestaltungsoptionen kommen wird, denn die Kreativität von Hinterbliebenen (bzw. vorausschauend Denkenden zu Lebzeiten) ist noch grenzenloser als die Formvielfalt auf dem modernen Totenacker.
Grabstein des Monats März 2019
Im Leben hat man viele Rollen. Das will wohl auch diese Grabinschrift zum Ausdruck bringen, indem sie die auf verschiedene Talente, Passionen und Beziehungen der erinnerten Person zurückblickt.
Grabstein des Monats Februar 2019
Der Grabstein des Monats ist keiner, und doch einer. Schilder wie das gezeigte stehen für ein Reflexivwerden des Friedhofs: frühere Bestattungsvorgänge, -rituale, -stätten, und insbesondere die Gebeine der Vorverstorbenen werden viele Jahre, manchmal Jahrhunderte später neu (und anders) thematisiert. Indem die sepulkrale Vergangenheit auf diese Weise einer Öffentlichkeit gegenüber gewürdigt wird, die mit dem ursprünglichen Kontext nichts zu tun hat, verwandelt sich die Nekropole in gewisser Hinsicht in eine Zeitmaschine. Auch wenn kaum noch Überreste und, wie in diesem Fall, nicht einmal mehr die Erinnerung an die bestattete Person erhalten geblieben ist – die rituelle Einrahmung wird auch diesem Fall gewährt, gerade diesem, und eben dies wird deklariert.
Grabstein des Monats Januar 2019
Denkt man an typische Elemente eines ›klassischen‹ Grabsteins, dann fällt einem neben Namen und Lebensdaten des Beigesetzten sowie der obligatorischen Kreuzsymbolik meist noch ein prägnanter Bibelvers ein. Doch genauso vielfältig die Grabgestaltung im Allgemeinen geworden ist, so ist seit geraumer Zeit auch das Repertoire der ›letzten Worte‹ stark angewachsen. Immer häufiger werden sie etwa aus dem Bereich der Kino- und Fernsehunterhaltung, der Popmusik oder des Sports geliehen. Und manchmal kommt der Verstorbene an seinem Grab auch selbst zu Wort; sei es indem man ihm bestimmte Aussagen schlichtweg in den Mund legt oder tatsächlich zu Lebzeiten getroffene Äußerungen zitiert. Letzteres scheint auf unseren aktuellen Grabstein des Monats zuzutreffen, der hierdurch eine ganz besondere Note erhält. In welchen Situationen Inge(borg) diese ›Weisheit über die Weisheit‹ wohl zum Besten gab? An wen war sie ursprünglich gerichtet? Und war es vielleicht sogar der persönliche Wunsch ihres Urhebers, dass sie den späteren Grabstein zieren soll? Auch wenn sich all das aus der Perspektive des uneingeweihten Beobachters nicht sicher beantworten lässt, gewinnt man doch zumindest einen Eindruck davon, welchen Stellenwert die Worte der Verstorbenen für deren Angehörige haben können – und wie man auf diese Weise ein Weltbild als kompakte Lebensbilanz zum Ausdruck bringt.