»Artefakt und Erinnerung. Zur Transformation von Materialität im Erinnerungskontext«
Kooperationsprojekt der Universitäten Passau und Rostock
Die Kultur des Trauerns unterliegt einem permanenten Wandel. Sie reagiert auf gesellschaftliche Transformationsvorgänge und reproduziert diese im Spiegel neuer Ritualformate und innovativer Konzepte. Eine wissenschaftliche Analyse verspricht eine Erhellung der hier konstatierbaren Vielfalt und Ausdifferenzierungen – und damit auch eine Aufschlüsselung der Interessen und Bedürfnisse von Akteuren im funeralen Feld.
Entscheidend ist insbesondere die Rolle der Materialität. Exemplarisch soll der Umgang mit so genannten »Erinnerungsdiamanten« untersucht werden. Im Trauerprozess von Hinterbliebenen, die sich dazu entschieden haben, die Kremationsasche ihres verstorbenen Angehörigen in Form einer kristallinen Preziose aufzubewahren, spielen diese Artefakte offenkundig eine wichtige Rolle. Welche Erwartungen, Motivlagen und Interessen werden dabei ausagiert bzw. verwirklicht? Das hier projektierte Vorhaben soll Fragen des Umgangs (Pragmatik) mit Fragen der Ästhetik verbinden, die im Kontext von Trauerprozessen eine besondere Bedeutung erlangen.
Im Unterschied zu Reliquien, die einem durch die natürlichen Todesfolgen transformierten Körperteil eines Menschen von exponierter Heiligkeit entstammen (zumeist Knochen), ist es hier ein ästhetisiertes Artefakt, das in seiner Substanz den Verstorbenen gewissermaßen technisch – und möglicherweise auch ideell – in »zweiter Ableitung« symbolisiert. Erinnerungsdiamanten stehen nicht zwingend im Widerspruch zum traditionellen Friedhof. Ein juristisch offenes Problem (in Deutschland) ist die Partikularisierung der Asche. Die von der Bestattungspflicht vorausgesetzte immobile Verortung der sterblichen Überreste (Friedhofsgrab, Totenruhe) gerät hier in einen Kontrast zur Mobilität (der Diamant kann auch körpernah als Schmuck getragen werden). Bei den verschiedenen Formen des Umgangs mit der Kremierungsasche ist hier ein besonderes Augenmerk auf die schon praktizierten, gestuften Übergänge zu richten (Friedhof/Friedwald/Seebestattung/ häusliche Schmuckurne/Asche am Urlaubsort/ Asche als Tattoo bzw. Asche als Gemälde. usw.).
Analog zum biologischen Gestaltwechsel der Leiche im Grab ist auch im Prozess der Diamantpressung die Transformation den Blicken der Angehörigen entzogen. Sinnlich wahrnehmbar (taktil, optisch) ist jeweils ein zunächst invariantes Endprodukt. Doch anders als das immobile Grab auf dem Friedhof entsteht hier ein Erinnerungsgegenstand, der für die Angehörigen ambulant handhabbar wird. Aus Angehörigen werden nun auch Eigentümer. Der Kauf des Diamanten stellt also eine formalisierte Form der Wiederaneignung des Verstorbenen dar.
Soziologisch lässt sich argumentieren, dass Artefakte das soziale Leben auf vielfältige Weise verändern und bestimmen – dies trifft hier umso mehr, als nicht irgendwelche zweckdienlichen, sondern humanoide Artefakte im Zentrum stehen. Wenn hier immer auch Veredelungen in Form von Schmuckeinfassungen oder Glaskunst von den Hinterbliebenen bzw. Kunden angewählt werden, dann erhöht dies die Komplexität der Person-Sach-Relation und eröffnet neue Formen der Koordination von Artefakten. Wie und wo werden die Erinnerungsdiamanten positioniert? Welche Arrangements werden präferiert? Und wie verändert sich möglicherweise beides im Trauerprozess? Ein Augenmerk wird auch darauf zu richten sein, inwiefern sich aus der häuslichen Aufbewahrung bestimmte Sachzwänge ergeben (z. B. Geheimhaltung gegenüber Gästen, Präsenz des Verstorbenen im häuslichen Umfeld, Fetischcharakter).
In jedem Fall konstituieren sich durch die Anwesenheit von Erinnerungsdiamanten neue Sinnzusammenhänge, in denen die Artefakte auf eine je spezifische Weise in Erscheinung treten und in eine – geordnete? – Beziehung zu anderen Gegenständen, Handlungen und Wahrnehmungsweisen gesetzt werden. Welche Formen der Personifizierung werden gewählt? Firmiert der Diamant als ein personales »Er« bzw. eine »Sie«, oder ein sächliches »Es«?
»Die Pluralisierung des Sepulkralen«
Empirisches Forschungsprojekt an der Universität Passau
Der Tod eines nahestehenden Menschen führt in der Lebenswelt seiner Angehörigen meist zu heftigen Erschütterungen. Dabei wird der Verlust mit emotionalen Reaktionen beantwortet, in erster Linie mit Trauer. Die Soziologie versteht Trauer als Kulturprodukt, das nicht unabhängig von sozialen Normen, Werten und Deutungsmustern gedacht werden kann. Im soziologischen Fokus steht darum die Gemeinschaft, die den Verlust eines Mitgliedes zu bewältigen hat. Die genauere Betrachtung zeigt: Der Tod ist nicht nur eine biologische, sondern auch und vor allem eine soziale Tatsache – und mit Trauer verbunden ist immer auch das Andenken und Erinnern sozialer Verhältnisse.
Die Art und Weise, wie Menschen sterben, wie sie bestattet, betrauert und erinnert werden unterliegt dem gesellschaftlichen Wandel und lässt sich längst nicht mehr verbindlich bestimmen. So vielschichtig wie die einzelnen Lebensentwürfe heutzutage sind, so facettenreich ist auch der Umgang mit dem Lebensende geworden. Dabei lässt sich eine allmähliche Loslösung von traditionellen Konzepten beobachten. Das Suchen und Finden von eigenen Trauerstrategien, die sich sowohl hinter, als auch auf den Kulissen der Öffentlichkeit abspielen können, gehört zu den Anforderungen in der modernen Gesellschaft. Mit dem Schwinden von
von sozialer Kontrolle wächst der individuelle Entscheidungsspielraum – und mit ihm mehren sich die Möglichkeiten, ein autonomes Trauerverhalten darzulegen.
Aufbauend auf theoretische und empirische Vorarbeiten zum Kontext Tod und Gesellschaft und zum Wandel der Bestattungskultur nimmt das Projekt eine Soziologie der Trauer in den Fokus. Mit qualitativen Methoden der empirischen Sozialforschung werden die Ausdrucksweisen von und die Umgangsweisen mit Trauer vor dem Hintergrund der Pluralisierung von Sinnangeboten und angesichts der Individualisierung untersucht. Dabei werden u.a. folgende Fragen berührt:
- Durch welche Praktiken drückt sich Trauer aus und welche Funktion erfüllt sie?
- Inwiefern unterliegen Trauerhandlungen der sozialen Kontrolle, inwiefern gibt es Gestaltungsfreiräume?
- Welche Bedeutung haben Räumlichkeit, Materialität und Körperlichkeit im Zusammenhang mit Trauer?
- Welche Bedeutung kommt dem Friedhof als Ort von Trauer und Erinnerung in der modernen Gesellschaft zu? In welchem Verhältnis steht er zu alternativen Räumen der Trauer (z. B. dem Internet)?
»Autonomie der Trauer. Motive für und Erfahrungen mit Bestattungsalternativen jenseits institutioneller Vorgaben – am Beispiel der häuslichen Urnenaufbewahrung und der Aschenbeisetzung außerhalb von Friedhöfen«
Kooperationsprojekt der Universitäten Passau und Erlangen-Nürnberg und dem Kulturwissenschaftlichen Institut Essen
Das gesellschaftliche Verhältnis zu Sterben und Tod befindet sich in einem Wandlungsprozess. Neue Formen des Umgangs mit dem Lebensende entstehen, traditionelle Konzepte erhalten Konkurrenz. Zu den Entwicklungen, die aktuell vorliegen und an Bedeutung zunehmen, zählen u.a. die Hospizbewegung und die Palliativmedizin, aber auch individualisierte Bestattungen, pragmatisch erscheinende Ruhestätten, die Suche nach alternativen Ausdrucksformen und nicht zuletzt Innovationen in der Erinnerungskultur, etwa durch das Internet bzw. generell durch ein sich veränderndes Verständnis von der Idee des endgültigen Abschiednehmens.
Ein Diskurs, der viele dieser Elemente in sich bündelt und problematisierbar macht, ist die zunehmende Tendenz von Hinterbliebenen, die Urnen mit der Asche ihrer verstorbenen Angehörigen trotz des (in Deutschland) gesetzlich festgelegten Friedhofszwangs an anderen Orten, insbesondere im eigenen Wohnbereich, aufzubewahren oder die Asche an liebgewonnenen bzw. symbolisch wichtigen Plätzen auszustreuen. Obwohl dieses Handeln laut deutschem Recht prinzipiell illegal ist, besteht offenbar eine große Nachfrage, mit der sich mittlerweile auch die Politik befasst (siehe zuletzt das Beispiel Bremen). Bislang befindet sich das Phänomen der »unbestatteten Urne« weitgehend noch in einer Grauzone: Man weiß durchaus, dass die Aschen nicht ordnungsgemäß beigesetzt werden und man kann mühelos auf Bestatter und andere Dienstleister treffen, die Hinterbliebene in dieser Hinsicht unterstützen und Wege aufzeigen. Das Rechtssystem scheint politische Entscheidungen abzuwarten bzw. die Konfrontation mit der öffentlichen Meinung zu scheuen – und die Perspektive der Betroffenen ist bei all dem weitgehend ausgeblendet.
Diese Erkenntnislücke soll das Projekt »Autonomie der Trauer« beseitigen helfen. Neben der (fraglos gewichtigen) juristischen Frage stehen hinsichtlich der Privataufbewahrung von Urnen, bzw. deren friedhofsfernen Beisetzung, nämlich auch ethische, theologische, psychologische, ökonomische und soziale Motive. Was bringt Menschen dazu, sich im Kontext des Todes einer geliebten Person einer illegalen Praxis zu bedienen? Wurden die damit einhergehenden Erwartungen erfüllt? Was versprechen sie sich von den sich abzeichnenden Veränderungen in Deutschland? Wie gehen sie in ihrem sozialen Umfeld mit den Begleiterscheinungen ihrer Entscheidung um, die Normativität der Bestattungsregeln zu untergraben? Wie häufig wird diese Praxis gewünscht, und welche Informationsvorsprünge bzw. –desiderate verbinden sich damit? Welche Wünsche bzgl. der Bestattungskultur kommen darin zum Ausdruck, und welche Schlussfolgerungen lassen sich für Praktiker, aber auch für Entscheider und für künftige Betroffene daraus ziehen?
Diesen und weiteren Fragen geht das empirische Forschungsprojekt nach. Methodologisch baut es auf dem Prinzip der empirischen Sozialforschung auf. Betroffene im gesamten Bundesgebiet werden unter Bedingungen der Anonymisierung in narrativ-qualitativen Interviews über die Hintergründe ihrer Entscheidungen befragt. Ferner werden soziodemografische Daten erhoben und auf ihre Korrelationen hin überprüft. Innovationskraft entfalten diese Forschungen insbesondere dadurch, dass Menschen nicht hinsichtlich fiktiver zukünftiger Planungen befragt werden, sondern tatsächlich umgesetzte Entscheidungen und konkrete Erfahrungen im Zentrum der wissenschaftlichen Rekonstruktion stehen.
»Wandel der Bestattungskultur. Über den Umgang der modernen Gesellschaft mit dem Problem der Sterblichkeit. Qualitativ empirisches Forschungsprojekt im gesamten deutschsprachigen Raum.«
Empirisches Forschungsprojekt an der Goethe-Universität Frankfurt
Wie gesellschaftlich damit umgegangen wird, dass alle Menschen sterben müssen, lässt sich längst nicht mehr verbindlich bestimmen, nicht einmal mehr innerhalb einer spezifischen Region oder Kultur. Diese Transformationsprozesse machen wissenschaftliche Nachforschungen lohnenswert – auch und gerade aus sozialwissenschaftlicher Perspektive. Zu den Prozeduren der Todesverwaltung und den Ritualen des Abschiednehmens fehlt es jedoch bislang insbesondere an empirischem Untersuchungsmaterial.
Vor dem größeren Hintergrund der Fragestellung, wie die Gesellschaft mit Sterblichkeit umgeht, werden in diesem Projekt ethnografische Erkundungen in verschiedenen ›Todeskontexten‹ vorgenommen: auf Friedhöfen, im kirchlichen Kontext, bei Fachtagungen und Messen. Hinzu kommen Interviews mit Bestattern, Experten für alternativen Beisetzungsformen, Kunsthistorikern, Steinmetzen, Medizinern, Verwaltungsangestellten und Theologen, sowie Archivrecherchen, Dokumentationsarbeit. Besonderes Gewicht nimmt dabei die Frage ein, inwiefern Randbereiche des Alltagslebens wie die Bestattungskultur vom sozialen Wandel und insbesondere vom Individualisierungstrend berührt werden.
Zu den bekanntesten Erscheinungsformen des oben erwähnten Transformationsprozesses zählen – neben der bereits weitgehend etablierten Kremation – Naturbestattungen, kostengünstigste Reihengräber und anonyme Beerdigungen. In diesen Optionen schlagen sich zunehmend pragmatische und ökonomische Erwägungen nieder. Ergänzend zu diesen Entwicklungen firmieren als besonders eindrucksvolle Beispiele für den sozialen Wandel die Gestaltungen von Friedhofsanlagen und individuellen Grabstätten. Veränderte Verständnisse und Sinnkonstruktionen bezüglich Abschiednahme, Trauer, Jenseitsglaube, Unumkehrbarkeit des Todes und vieles mehr werden hier zunehmend nicht mehr durch den Rückgriff auf bereits vorhandenes Symbolrepertoire dargestellt, sondern mit Referenz auf die je betroffene einzigartige Lebenswelt ausbuchstabiert. Fotografien zeigen Verstorbene in ihrer Lebendigkeit, Alltagskontexte treten in Erscheinung, Verweise auf Hobbys, Vereinszugehörigkeiten, persönliche Ansichten und Lebensphilosophien werden bekundet und auch intime Mitteilungen lassen sich finden. Besonders deutlich wird die Verbindung zur Lebenswelt durch das Ablegen von Alltagsgegenständen, die die Verstorbenen zeitlebens verwendet haben, wie etwa Zahnbürste, Rasierer, Sportgeräte und sogar Musikinstrumente. Selbst Nahrungsmittel und Kleidungsstücke finden mittlerweile an Grabstätten Platz.
Von Interesse sind darüber hinaus (und doch eng damit verbunden) die Repräsentationen von Körperlichkeit, die in der zeitgenössischen Bestattungskultur eine Renaissance finden. Neben den toten Körper treten immer häufiger Sichtbarmachungen vergangener Lebendigkeit, die eigenwillige soziale Funktionen ausüben. Auch diese Tendenz lässt sich mit Individualisierungstrends und der ›Existenzbastelei‹ persönlicher Biografien in Verbindung bringen. Damit wiederum gehen spezifische Varianten des Erinnerungsmanagements einher; denn auch die Erinnerungskultur befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel, der beispielsweise durch das Internet forciert wird.